Nett sein, Arschloch!

Diese von einem Bierdeckel inspirierte Überschrift passte noch nie besser, scheint mir.

Ich kaufe mir ein neues Paar Schuhe und muss mich als Erstes naserümpfend fragen lassen: „Na, bei dir der Reichtum ausgebrochen?“

Jemand macht eine Weltreise, und jemand anders hat nichts Besseres dazu zu sagen als „Hast du zu viel Geld?“

Ich poste ein lustiges Foto zum BVB-Sieg gegen Freiburg auf Twitter und kriege als Kommentar ein „Ihr hättet verlieren sollen.“ (Und werde nach einigen Antwort-Tweets als unfreundlich bezeichnet.)

Ich seh im Urlaub den ersten echten Elch meines Lebens und muss mir sagen lassen „Aber ein Männchen, so richtig mit Geweih, wäre schon toller gewesen.“

Man versichert einer guten Freundin, es sei ganz normal, dass man sich nach einer schlimmen Trennung furchtbar fühle und einem selbst die einfachsten Handgriffe zu schwer seien und bekommt an den Kopf geknallt: „Ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber du hattest ja noch nie so eine lange Beziehung.“

Ich berichte von meinem Job und werde gefragt, ob man „für so was“ denn „wirklich Redakteurin“ sein müsse.

Ich erzähle, ich sei allein an den Yukon gefahren und bekomme als Antwort: „Glaub ich dir nicht.“

Nach einem wunderbaren Abend in der Kneipe mit Leuten, die ich lange nicht gesehen hab, muss ich mir sagen lassen: „Tja. Wenn du ein Kind hättest, könntest du nicht mehr nächtelang saufen gehen.“

Ich schildere Pläne für ein neues Hobby und höre nur „Wann willst du denn das noch machen?“

Man bastelt ein Weihnachtsgeschenk mit viel Mühe und Arbeit und Herzblut, und alles, was man bekommt, ist ein lapidares „Damit hast du dir ja nun ein Denkmal gesetzt.“

Ich berichte, wie gut es mir gerade geht und was alles Schönes in meinem Leben passiert ist und alles, was meinem Gegenüber wichtig ist, ist: „Aber einen Freund hast du immer noch nicht, oder?“

Was ist eigentlich los mit uns?! Muss man immer alles madig machen und einen dummen, vermeintlich coolen Spruch bringen? Ist das wirklich so viel einfacher, als einfach mal zu sagen: „Wie schön, ich freue mich für dich?“

21 Gedanken zu “Nett sein, Arschloch!

  1. Stephan

    Ist das nicht irgendwie ein typisch deutsches Problem?
    In Amerika würde dann eher jemand sagen..“hey hast dir was tolles gekauft“ aber würde sich dann noch mal was 10 mal Besseres holen. Bei Arbeitskollegen so schon erlebt :)

  2. Den letzten Satz bekommen die wenigsten hin. Ich bin auf der Arbeit angenehm aufgefallen, weil ich mich immer bedanke und mich für andere Leute freue. Kann doch nicht so schwer sein, oder?
    Bitte nachsprechen: ich freue mich für dich.

  3. Pingback: Lesenswerte Links – Kalenderwoche 40 in 2013 > Vermischtes > Lesenswerte Links 2013

  4. „Die Kirsten hat einen witzigen Blogbeitrag geschrieben.“ „Ja, ich hab ihn gelesen und musste sher schmunzeln. Ich freu mich für sie, dass er so gut geworden ist“ ;)

  5. givesmiletolife

    Nicht umsonst liegt Deutschland im World Happiness Report der Vereinten Nationen auf Platz 26. Leider scheinen wir in Deutschland eine Kultur der Nörgler und Miesmacher zu entwickeln.

  6. Waldemar

    Und wenn es nich anders geht, nörgelt man uber sich selbst! Wie erfreulich! Ich habe euch lieb! :-)
    PS: Hast Du schon einen? :-D

  7. karrierebibel

    Toller Artikel, spricht mir aus der Seele. Danke.

    Wobei ich mich schon frage: Muss man unbedingt zu allem einen Kommentar abgeben? Man erzählt etwas, der oder die andere freut sich mit. Danke, reicht. Dieses Ich-finde-aber-auch-noch-einen-Aspekt-den-ich-unbedingt-einwerfen-muss ist vielleicht auch der Facebook-Kultur geschuldet.

    1. Danke für das Lob! Offenbar hab ich damit echt einen Nerv getroffen.

      Genau, man muss ja gar nicht immer was sagen – und wenn man nichts Nettes sagen kann, sagt man halt gar nichts. :-)

  8. Danke für den tollen Beitrag, du sprichst mir aus der Seele!
    Es ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft, dass es schon soweit gekommen ist.
    Aufrichtige Freude für andere, ohne Neid – was ist so schwer daran?!?
    Und wie hier schon geschrieben wurde: Schon der Volksmund wusste es, dass man lieber gar nichts sagen soll, wenn man nichts Nettes sagen kann.
    Ist doch eigentlich gar nicht so schwer! Eigentlich…

    1. Danke schön! Es ist echt erstaunlich, wie viele mir schon gesagt haben, dass ich ihnen aus der Seele spreche, Das freut mich natürlich, aber eigentlich ist es schade, dass es so ist. ;-(

      Manchmal ertappe ich mich ja auch selbst dabei, dass ich was mal eben so raushaue, was ich nicht so gemeint hab, aber mit zunehmendem Alter wird das besser. ;-)

  9. comicfreak

    ..wir fallen schon positiv auf, weil wir allen Briefträgern / Ausfahrern / Lieferanten gesagt haben, sie können sich gerne jederzeit ein Glas Wasser oder einen Becher Kaffee mitnehmen.
    Die Putzfrau hat geweint, weil wir uns nach dem kranken Kind erkundigen und am Geburtstag ne Kleinigkeit haben.

    Wenn man durch sowas schon quasi als heilig gilt, muss es anderswo echt schlimm sein. :/

    1. Wenn ich bei uns in er Firma einer Putzfrau freundlich „Guten Morgen“ sage, gucken manche ganz erschreckt. Denen merkt man richtig an, dass sie das nicht gewohnt sind.

      Eine Freundin berichtete mir mal aus ihrer Krabbelgruppe, dass eine Mutter fast angefangen habe zu weinen, weil meine Freundin was Nettes über die Tochter der Frau gesagt hatte. Die kannte das nur, dass die anderen Mütter sie niedergemacht haben mit hochnäsigen Gelaber wie „ach, kann deine noch nicht krabbeln?!“

      Wenn so einfache, vermeintlich selbstverständliche Sachen schon außergewöhnlich sind, dann stimmt doch echt was nicht.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..