Gestern war eine liebe Freundin zum Brunch zu Besuch, und ich muss sagen, solche Begebenheiten sind derzeit das Highlight meiner Woche. Weil sie aufgrund ihrer derzeitigen Seltenheit eine gewisse Normalität darstellen – nicht nur wegen meiner Erkrankung, sondern auch wegen der Pandemie. Da die Chemo mein Immunsystem mehr oder weniger plattmacht, halte ich mich derzeit noch mehr von Menschen fern als eh schon. Okay, ich war jetzt vorher auch nicht gerade ein schillerndes Society-Sternchen, das von Party zu Party flattert, aber zuletzt hatte ich schon ein bisschen Sorge, mich dieser Tage so weit von der Gesellschaft zu entfernen, dass ich am Ende nicht mehr zurückfinde. Ich bin ja auch so vergesslich geworden! Das könnte irgendwann zum Problem werden, wenn man nicht mehr weiß, wie man sich benimmt, wenn auf einmal wieder andere Menschen mit im Raum sind. War lautes Rülpsen jetzt gesellschaftlich anerkannt oder nicht? Leckt man Messer ab oder schmiert sie einfach an der Jogginghose ab? Wohin klebt man Popel, wenn man kein Taschentuch dabei hat? Darf man sich in Anwesenheit anderer Menschen die Unterbuxe aus der Ritze friemeln, oder wird das im Allgemeinen als unfein empfunden? Ich bin da nicht mehr in allen Aspekten firm.
Auf jeden Fall hatten wir einen sehr schönen Brunch, natürlich ging es auch mal um Krankheiten, Gedärm und Pestilenz, aber nicht nur. Ich hatte auch schon Treffen mit Freundinnen, in denen die Frage nach meinem Wohlbefinden erst nach einer ganzen Weile kam, „weil du so gut und normal aussiehst“ – und das ist das beste Kompliment, das ich derzeit kriegen kann. Wenn der normale Alltag darin besteht, sich in einer Woche bestmöglich von der Chemo zu erholen, um sich die nächste Dröhnung verpassen lassen zu können, wenn Handarbeiten zum Sport wird und dann auch noch das Wetter so mistig ist, dass man am liebsten den ganzen Tag im Bett bleiben würde, freut man sich sehr über den Satz, dass man normal und eben nicht krank aussieht.
Womit ich größere Probleme hab, und das auch, wenn ich weiß, dass solche Sätze lieb und gut gemeint sind: „Kümmer dich doch nicht um XY, konzentrier dich doch lieber darauf, gesund zu werden.“ Oder „du hast doch gerade ganz andere Sorgen, mach dir doch keine Gedanken um dies/das/Ananas“. Das stimmt natürlich alles, aber wenn man das ganz übertrieben zu Ende denkt, heißt es auch: Normalität und normale Sorgen gibt es für dich gerade nicht, du hast Krebs, und den hast du 24/7, und sonst hast du nix.
Aber so funktioniert es eben nicht. Ich kann nicht den ganzen Tag dran denken, dass ich krank bin – abgesehen davon, dass das ganz automatisch passiert, wenn die Nebenwirkungen der Chemo zuschlagen. Wenn ich mich aber bewusst den ganzen Tag nur drauf konzentrieren müsste, gesund zu werden, würde ich bekloppt. Also noch bekloppter, als ich eh schon bin, und das kann ja nun keiner wollen. Es ist im Gegenteil ganz schön, hier und da mal „normale“ Sorgen zu haben und normale Dinge zu tun, wie etwa Weihnachtskarten zu schreiben (auch wenn das anstrengend ist), einem hübschen jungen Mann hinterherzugucken, an die Redaktion zu denken, die Wohnung auf Vordermann zu bringen usw. Denn die Welt da draußen hält ja nicht an und wartet auf mich, nur weil ich krank bin. Es wird schwer genug, irgendwann wieder in den gewohnten Alltag zurückzukehren, jeden Tag mit mehreren (!) Menschen zu tun zu haben und das alles ohne den Krebs-Bonus, der mir gestattet, gelegentlich (höhö) missgelaunt zu sein. Da ist es vielleicht eine ganz gute Idee, den Alltag zumindest portionsweise wieder ins Leben zu lassen.
Wobei – nach jedem Einkauf bin ich zurzeit ehrlich gesagt heilfroh, wenn ich wieder zu Hause unter die Decke kriechen kann. Und das nicht nur wegen des Wetters.