Ich hab es echt versucht. Ehrlich. Ich wollte ein besserer Mensch sein. Weniger schreien. Ruhig, höflich zu allen sein, den Widrigkeiten des Alltags mit den wissenden Lächeln begegnen, dass sich die ganze Aufregung nicht lohnt, weil wir nur ein Staubkörnchen im All sind. Im Geiste ein *boing-flip*-Geräusch machen, wann immer mir jemand Übles will, damit das Üble direkt zu ihm zurück fliegt und ihn auf seinen miesen kleinen Ar… auf den Rücken wirft. Ich habe mich redlich bemüht. WIRKLICH.
Es ging auch eine Weile gut. Und ich muss sagen, es hat mir gar nicht so schlecht gefallen. Denn wenn man Leute anschreit, geben die ja immer Widerworte, auch wenn sie unrecht haben. Also lasss die Leute sich doch nicht bedanken, wenn ich ihnen die Tür aufhalte. Lass die Rentner doch überall vordrängeln, die haben ja nicht mehr so viel Zeit. Kindergeschrei auf dem Hof? Ach, die lieben Kleinen sind doch unsere Zukunft.
Es war wirklich nett, mal so zen-mäßig unterwegs zu sein. Ich war zwar abends nicht entspannter, sondern eher noch müder und bekam Verdauungsbeschwerden von all dem runtergeschluckten Ärger, aber hey – Karmapunktesammeln ist nichts für Weicheier.
Es hätte also alles so schön sein können. Aber dann war mein Urlaub zu Ende und ich begann wieder, mit der Deutschen Bahn zu fahren.
Es begann schon vor der Reise. Nachdem ich meine diesmal ziemlich schwere Tasche bis zur S-Bahn geschleppt hatte und schweißnass (schon um kurz nach 7 Uhr kein guter Start für einen olfaktorischen unauffälligen Tag) am Bahnhof Altona saß, kam die Durchsage, dass der Zug erst zehn Minuten später bereitgestellt werden könne. Ach nee, doch 30 Minuten. Ach nee, schulle, doch erst 50 Minuten. Während die Medizin-Studentin neben mir nun jeden zufällig durchs Bild laufenden Bahnmitarbeiter mit der Frage belästigte, ob die 50 Minuten jetzt von der Abfahrtszeit aus gemeint seien oder „on top“, dachte ich: „Prima. Endlich mal richtig viel Zeit zum Lesen.“
Als der Zug endlich kam, wurde natürlich nur Medizinpüppi von den umstehenden Herren gefragt, ob man mit dem Gepäck behilflich sein könne. (Ich nahm das als Kompliment, weil ich natürlich viel zu wenig hilfsbedürftig aussehe.) Die Bahn machte sich den Spaß, mit dem korrekten Beschriften der Waggons und reservierten Plätze zu warten, bis wir alle uns einfach irgendwo irgendgesetzt hatten, woraufhin Medizinpüppi die sorgsam aufgebauten Bücher und den Laptop wieder einpacken und sich den richtigen Platz suchen durfte. Das war sicher die Rache für die dummen Fragen an die Bahnmitarbeiter.
Auf dem Weg zu meinem reservierten Platz machte ich diverse Male Leuten Platz, die mir entgegenkamen, sich aber nicht bedankten. Und ich schwöre, ich hab nur einmal gesagt: „Danke, dass ich Ihnen Platz machen durfte.“ Das allerdings ziemlich laut. Sorry. (Not.)
Am Hauptbahnhof begann das Chaos. Gefühlte Millionen Leute stiegen ein, darunter eine Schulklasse. Natürlich. Es ist ja immer eine Schulklasse. Eine Schulklasse, die mit Mülleimern klappert, von Facebook gewöhnt ist, der Welt lautstark mitzuteilen, was gerade passiert („ICH ESSE EINEN APFEL!“), durch den Waggon brüllt und sich gegenseitig unter genervter Nennung des Namens zurechtweist („OH MANN, NEEEEELEEEE!“). 30 Mal in der Minute.
Mir gegenüber ließen sich zwei alte Damen nieder, die aufgrund der besonderen Umstände ganz unrentnermäßig nicht „Wir haben reserviert“, sondern „Alle Reservierungen sind aufgehoben, wir setzen uns jetzt irgendwo hin!“ skandierten. Das taten sie auch, schickten die Leute wieder weg, die eigentlich auf diesen Plätzen reserviert hatten und gingen immer dann aufs Klo, wenn der Zug irgendwo hielt, weil ja dann noch nicht genug Leute auf den Gängen rumstehen. Als ich die eine fragte, ob ich ihr den Koffer nach oben wuchten sollte, antwortete sie (und zwar mit all der in 80 Jahren angesammelten Pampigkeit, die ihr zur Verfügung stand): „NEIN! Der bleibt hier unten stehen!“ Kein Problem, ich bin ein verdammter Buddha, ich brauche keinen Dank.
Beim Umsteigen in Hannover war mein Zug natürlich lange weg, aber der nächste fuhr schon wenige Minuten später. Blöderweise hatte ich für den keine Reservierung. Ich stellte mich also auf Stehen ein, um überrascht festzustellen, dass der Zug relativ leer war. Blöderweise aber waren die meisten freien Sitze reserviert. Für Füße, Laptops und Kaffeetassen. Ich fing so langsam wieder an, die Menschen zu hassen und ihnen die Pest an den Arsch zu wünschen. Mir doch scheißegal, wenn ich für jeden Fluch im nächsten Kackleben wieder ein verdammtes Jahr mehr als dämliche Ameise leben muss. Das wurde nicht besser, als jemand in Bielefeld zustieg und mir beschied, ich solle doch mal an die Seite gehen, damit er seinen Koffer dahin stellen könne.
Der Rest der Fahrt verlief einigermaßen entspannt, wenn man davon absieht, dass ich allmählich unangenehm unter den Armen zu riechen begann und nicht lesen konnte, weil ich, wenn ich im Zug stehe und lese, irgendwann jemanden auf die Füße kotze.
Als ich schließlich in Lippstadt angekommen war, mein Vater meine schwere Tasche trug und ich mich auf Rouladen und Rotkohl zum Mittagessen freute, war es mir auch schon fast egal, dass wir in der Bahnunterführung beinahe von einem Rentner auf dem Rad umgenietet wurden, der behauptete, er dürfe hier fahren (darf er nicht) und ein paar weitere Scheißschüler meinen Vater als „Oh, Mann, Alter!“ beschimpften, nur weil er bat, nicht die ganze Breite des Ampelübergangs zu blockieren, sondern auch andere Leute mal vorbeizulassen. Ich hatte schon fast wieder meine zen-mäßige Ruhe.
Bis meine Mutter im Auto zwei Schülerinnen anhupte, die, ohne auf Autos etc. zu achten, simsend auf dem Rad hintereinander herfahrend plötzlich meinten, nebeneinander herzufahren, sei doch viel cooler. Mein Mutter hupte, die eine rief etwas Unflätiges und ich kurbelte das Fenster runter und brüllte so laut, dass es vermutlich noch in Soest zu hören war: „Verdammte Scheiße, NICHT NEBENEINANDER FAHREN, IHR BLÖDEN SCHNEPFEN!“
Aaaaaah. Willkommen zu Hause, Hulk Girl.